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Die Entwicklung der Biochips-Technologie: Ein Überblick
Holger Schmitt, GATC Biotech AG, Konstanz
Die Chiptechnologie hat sich mittlerweile zu einem verbreiteten Verfahren in
weiten Bereichen der biologischen und biomedizinischen Grundlagenforschung sowie
der Wirkstoff-Forschung und -Entwicklung in der pharmazeutischen Industrie (Drug
Screening) entwickelt. Durch die Prinzipien der Miniaturisierung, Automation
und Parallelisierung erreicht man bei chipbasierten Methoden eine Durchsatzsteigerung
simultan messbarer Parameter, die mit konventionellen seriellen Methoden der
Biotechnologie nicht im entferntesten zu realisieren ist. Technische und methodische
Neuentwicklungen führen kontinuierlich zu verbesserten Analysen, erhöhen
die Reproduzierbarkeit und ermöglichen die notwendige Qualitätssicherung,
so daß chipbasierte Analysesysteme auch immer breitere Anwendung in klinischen
und diagnostischen Bereichen finden, wie z.B. der Genotypisierung zur Mutationsanalyse
oder der Infektionsdiagnostik.
Bedeutung und Anwendung von Biochips
Nach der Identifizierung der Reihenfolge der Bausteine des gesamten menschlichen
Genoms ergibt sich natürlich die Frage, wie man sich diese enorme Menge
an Informationen aus der Sequenzanalyse zunutze machen kann. Dabei konzentriert
sich derzeit das Interesse überwiegend auf die Anteile des Genoms, die
von der Zelle abgelesen (transkribiert) und in funktionstüchtige Proteine
übersetzt werden (translatiert) - die Gene. In unmittelbarem Kontext steht
ohne Zweifel auch die Frage nach den zellulären Regulationsmechanismen,
die das komplexe Netzwerk aus Interaktionen zwischen den verschiedenen Genen
kontrollieren. Die Microarray-Technologie erfährt speziell im Bereich der
funktionellen Genomanalyse eine differenzierte Nutzung. Darunter versteht man
die Untersuchung aller Gene, die in einer speziellen Zelle oder einem Zellverband
abgelesen und in Proteine übersetzt werden (Expression), und die Veränderung
ihrer Aktivitätsmuster während verschiedener Entwicklungsstadien,
im Krankheitsfall oder durch den Einfluß verschiedener Umweltbedingungen.
Ergebnisse dieser differentiellen Expressionsstudien erlauben Rückschlüsse
auf die funktionelle Beteiligung von Genen an bestimmten zellulären Stoffwechselprozessen
oder deren genetischer Kontrolle.
Dabei gilt es unter anderem herauszufinden, wie sich die differentielle Expression
der genetischen Sequenz in verschiedenen Zellen und Geweben auswirkt. Die medizinische
Diagnostik und die Pharmakogenetik interessiert vor allem, inwiefern zwischen
den Aktivitätsmustern bestimmter Gene und dem Verlauf einer Krankheit bzw.
der Antwort der Zelle auf die Behandlung mit einem Medikament ein Zusammenhang
besteht. Weiterhin stellt sich die Frage nach möglichen Auswirkungen somatischer
Mutationen oder kleiner, natürlicher Veränderungen in der genomischen
Sequenz (Punktmutationen, single nucleotide polymorphisms, SNPs) auf den Ausbruch
und den Verlauf genetischer Krankheiten oder eine erhöhte Disposition für
solche Erkrankungen. Genetisch bedingte Krankheiten sind allerdings nur in den
seltensten Fällen auf den Defekt eines einzelnen Gens zurückzuführen.
In der Regel spielen Interaktionen zwischen mehreren Genen eine Rolle, die möglicherweise
sogar in räumlicher Distanz zueinander im Genom vorliegen. Da solche komplexen
Ereignisse durch klassische Genomanalyse kaum untersucht werden können,
bietet die Chiptechnologie mit der Möglichkeit Tausende von Genen in einem
einzigen Experiment gleichzeitig zu untersuchen, ideale Voraussetzungen.
Vorwiegend die differentielle Genexpressionsanalyse wird durch die Leistungsfähigkeit
von DNA-Chips in entscheidendem Maß rationalisiert. Während mit etablierten
molekularbiologischen Methoden immer nur ein Zielmolekül in einem Analyseschritt
untersucht werden kann und folglich eine Vielzahl von Einzelversuchen notwendig
wäre, um eine statistisch auswertbare Menge an experimentellen Daten zu
generieren, ermöglichen Chip-Technologien die parallele Analyse einer großen
Anzahl von Molekülen einer Klasse (z.B. cDNAs) in einem einzigen Experiment.
Da das Funktionsprinzip von Biochips auf grundlegenden molekularen Interaktionen
beruht, ist seine Anwendung nicht nur auf die Analyse von Nukleinsäuren
beschränkt, sondern kann auch zur Untersuchung anderer Molekülklassen
herangezogen werden. Zur Generierung spezifischer Bindungsprofile werden mittlerweile
auch Antikörper, Peptide, Proteine, verschiedene chemische Verbindungen
und sogar ganze Zellen oder Gewebepartikeln auf Chipoberflächen aufgebracht.
Aufgrund dieser Effektivität und Flexibilität stellt die Chiptechnologie
mittlerweile ein weit verbreitetes Verfahren in vielen Bereichen der modernen
Biotechnologie dar.
Funktionsweise chipbasierter Analysesysteme
Die Begriffe Biochip oder Microarray bezeichnen die systematische Anordnung
von biomolekularen Sonden wie Nukleinsäuren (z.B. cDNAs), Antikörpern,
Peptiden oder Proteinen auf festen Oberflächen aus Glas, Metallen oder
Kunststoffen. Das Grundprinzip chipbasierter Methoden ist es, durch Sonden-Arrays
parallel arbeitende, miniaturisierte Analysesysteme auf einer möglichst
kleinen Fläche zu erhalten, die die gleichzeitige Untersuchung einer großen
Zahl von Parametern ermöglichen. Dabei ist die Nomenklatur auf dem Gebiet
der Biochips alles andere als einheitlich. Derzeit existieren mindestens vier
verschiedene Plattformtechnologien: Macroarrays, Microarrays, Oligonukleotid-Arrays
(GeneChipsä) und mikroelektronische Arrays und zusätzlich eine Vielzahl
an Varianten.
Diese Formate unterscheiden sich hinsichtlich der verwendeten Festkörpermatrix,
der Anzahl und Dichte an Sonden, ihrer Größe und der Auswertungstechnik.
Allen gemeinsam ist allerdings ein generelles Funktionsprinzip. Zum Nachweis
eines bestimmten Moleküls nutzt man charakteristische molekulare Interaktionen,
wie etwa die sequenzspezifische Hybridisierung von Nukleinsäuren oder die
Bindung von Antigen und Antikörper. Bekannte Vertreter bestimmter Molekülklassen
(z.B. cDNAs, Antikörper, etc.) werden als Sonden (engl. probe) nach einem
definierten Schema auf eine Matrix aufgebracht. Sind in der komplexen Testsubstanz
(Probe, engl. target) Moleküle präsent, die mit den gebundenen Sonden
in Wechselwirkung treten können, kann diese Antwort festgestellt, einer
Position zugeordnet und damit die Identität des Bindungspartners oder die
molekulare Zusammensetzung der zu untersuchenden Substanz ermittelt werden.
Das Prinzip der Parallelisierung zur Erhöhung der Zahl der zu untersuchenden
Parameter wurde auch schon bei der Entwicklung von Mikrotiterplatten verfolgt
und durch die Erhöhung der Dichte der Kavitäten und die Verkleinerung
der Volumina weiter vorangetrieben (96, 384 oder 1536 Format). Allerdings finden
im Grunde auch dabei die Bindungsereignisse in einzelnen Reaktionsgefäßen
statt und nicht in einer einzigen Reaktion in einem gemeinsamen Reaktionsraum.
Diese grundsätzliche Neuerung bieten erst die Array-Systeme. Voraussetzung
dafür ist, daß alle Interaktionen spezifisch unter gleichen Bedingungen
erfolgen und jeder Sonde eine definierte Position zugeordnet ist. Dabei kann
jede Position im Array unabhängig ausgewertet werden.
Array-Plattformen und ihre Anwendungen
Das Konzept, Multiparameter-Analysen in einem einzigen Experiment zusammenzufassen,
findet erstmals in Form von Dot-Blots Anwendung. Dabei bilden Membranstreifen
aus Nitrozellulose oder Nylon die Trägermatrix, auf die mehrere Sonden
individuell aufgebracht und immobilisiert werden. Entscheidende Fortschritte
in der Miniaturisierung konnten durch den Einsatz robotergestützter Übertragungswerkzeuge
zum Ablegen der Proben (Spotting) an definierten Positionen eines funktionalisierten
Trägermaterials erzielt werden. Eine signifikante Erhöhung von Sondenzahl
und -dichte auf Nylonmembranen führt schließlich zum Format der Macroarrays
mit einer hinreichend großen Sondendichte (200 bis 5.000) für effektive
Screening-Experimente.
Hybridisierungssonden auf Macroarrays bestehen in der Regel aus isolierten
und gelösten Nukleinsäuren (DNA Proben, PCR Produkte, Oligonukleotide)
oder Suspensionen von Bakterien (DNA Klone), die auf die Membran-Matrix übertragen
werden. Um den Nachweis eines Bindungsereignisses an der auf der Membran immobilisierten
Sonde führen zu können, muß die Nukleinsäureprobe zuerst
markiert werden. Dies geschieht durch den Einbau modifizierter Nukleotidbausteine
(radioaktive Isotope, chemische Modifikationen) im Verlauf einer Synthese- und
Amplifikationsreaktion. Die gebundene Probe kann somit entweder durch Entwickeln
einer Photoemulsion und Exposition eines Röntgenfilms (radioaktive Detektion)
oder durch den Nachweis von enzymatisch katalysierten Farb- oder Lumineszenzreaktion
lokalisiert werden.
Bei Microarrays konnte durch die Nutzung neuer Materialien wie Glas, Plastik,
Silikon oder Keramik als Trägermatrix und neuer Markierungs- und Detektionssysteme
eine weitere Steigerung der Sondenanzahl und -dichte (>10.000) erzielt werden.
Ein Vorteil dieses Formats liegt darin, daß die Hybridisierungsreaktion
in einer kleinen Flusszelle oder Hybridisierungskammer mit minimalem Volumen
erfolgt. Die dadurch erzielte Erhöhung der relativen Probenkonzentration
führt zu einer Beschleunigung der Bindungsreaktion und spart sowohl Zeit
als auch Probenmenge, was besonders wichtig ist, wenn nur wenig Ausgangsmaterial
zur Verfügung steht.
Der entscheidende Fortschritt des Microarray-Formats besteht allerdings darin,
dass die Anwendung verschiedener Fluoreszenzfarbstoffe mit ähnlicher Quantenausbeute
zur Probenmarkierung die Möglichkeit der kompetitiven Hybridisierung eröffnet.
Dadurch können Transkriptionsprodukte (mRNAs), die aus zwei verschiedenen
Gewebetypen stammen (z.B. Normalgewebe und Tumorgewebe) gleichzeitig auf ein
und denselben Array hybridisiert werden. Die Hybridisierungsereignisse werden
durch Filtersysteme getrennt voneinander ausgelesen. Der anschließende
direkte Vergleich der Fluoreszenzintensitäten ermöglicht die Bestimmung
der relativen Anteile von mRNAs einzelner Gene und erlaubt Rückschlüsse
auf ihr Expressionsniveau in der jeweiligen Gewebeprobe.
Neuartige Substratoberflächen ermöglichen eine hohe Sondendichte
und eine gute Immobilisierungs- und Hybridisierungskapazität. Aus einer
Reihe von aktivierten Oberflächen, die sich im Bezug auf Bindungschemie,
Anzahl der Bindungsstellen, Kopplungseffizienz, Belegungsdichte und optische
Eigenschaften unterscheiden, kann man die für den jeweiligen experimentellen
Ansatz geeignete auswählen.
Die Robotertechnologie hat mittlerweile verschiedene Spotting- oder Druckverfahren
entwickelt (z.B. von BioRobotics, Cartesian Technologies, GeneMachines, Packard
BioScience, Genetix Limited). Beim Contact-Printing wird durch das Eintauchen
einer Nadel (oder eines Rings) eine geringe Menge Flüssigkeit aufgenommen.
Durch das Aufsetzten der Nadel auf dem Substrat wird über Adhäsionskräfte
ein Teil der Flüssigkeit abgegeben. Die gelöste Probe reagiert mit
der aktivierten Substratoberfläche und wird so immobilisiert. Die Problematik
der Contact-Printing Verfahren liegt in der Kontrolle und Reproduzierbarkeit
der Spotmorphologie. Basierend auf der Druckertechnologie der Computerindustrie
wurden infolgedessen piezoelektronische Dispensiersysteme entwickelt, die sich
durch eine größere Präzision bei der Abgabe definierter Volumina
auszeichnen (GeSiM, Tecan, Rosetta Inpharmatics, Agilent Technologies). Eine
interessante Variante bietet auch das kontaktfreie Topspot-Verfahren der HSG-IMIT
(Villingen-Schwenningen, D). Die Flüssigkeit wird durch ein Kapillarsystem
zu Mikrodüsen geleitet und durch einen pneumatischen Druckimpuls gleichmäßig
abgegeben.
Zur Herstellung von cDNA-Arrays verwendet man Kopien der Transkriptionsprodukte
von Genen (cDNAs), die zuvor kloniert und in Bibliotheken gesammelt wurden.
Mit Hilfe der PCR-Technik (polymerase chain reaction, Polymerase-Kettenreaktion)
werden von diesen Klonen 200-600 Basenpaare lange Produkte amplifiziert und
als Sonden auf den Chip aufgebracht. Im Falle von Oligonukleotid-Arrays stellt
man anhand der Sequenzinformation über das Gen kürzere Sonden (25
bis 70mere) her, die entweder gespottet oder direkt auf der Chipoberfläche
synthetisiert werden. Der Entscheidende Unterschied der high-density Oligonukleotid-Arrays
(z.B. GeneChipsä) zu den voran genannten Formaten liegt darin, daß
die Sonde nicht zuerst in separaten Schritten vor dem Auftragen hergestellt
werden muß, sondern in situ auf der Matrix synthetisiert wird. Führend
auf dem Gebiet der positionsspezifischen Synthese von Oligonukleotiden ist die
kombinatorische Synthesemethode der kalifornischen Firma Affymetrix (Santa Clara,
CA, USA). Dabei werden 25 Basen lange Oligonukleotide an definierten Positionen
direkt auf der Chipoberfläche synthetisiert, indem durch einen photolithographischen
Prozeß monomere Synthesebausteine sukzessive in der richtigen Reihenfolge
gekoppelt werden, bis die geeignete Länge erreicht ist. Diese an die Halbleitertechnologie
aus der Elektroindustrie angelehnte Synthesemethode mit Hilfe von Masken ermöglicht
die Anfertigung jeder gewünschten Sondenkombination und damit mikroelektronischer
Chips nach Maß. Ein entscheidender Nachteil des Verfahrens ist derzeit
noch die relativ geringe Ausbeute bei der Synthese von ca. 95% pro Schritt.
Sie führt zu einer großen Zahl an Kettenabbruchmolekülen und
verschlechtert die Qualität der Hybridisierung. Auf kommerziell erhältlichen
Arrays wird diese Einschränkung durch eine große Anzahl an sich ergänzenden
Sonden kompensiert.
Eine Entwicklungstendenz der photolithographischen Verfahren weist in Richtung
computergesteuerte, regionspezifische Belichtung, welche die Verwendung von
Masken überflüssig macht (LED-Arrays, Spiegelarrays). Erwähnenswert
erscheint hierbei die Geniomâ-Technologie der Firma Febit (Mannheim, D).
Eine interessante Besonderheit stellt auch die elektrochemische Fokussierung
der Nanogen Inc. (San Diego, CA) dar (NanoChipä). Wie bei der GeneChipä-Array-Technologie
von Affymetrix handelt es sich um ein komplettes Analysesystem bestehend aus
Reaktionskartusche und Workstation. Auf einem Silizium-Chip sind Platinelektroden
angebracht und durch Anlegen eines elektrischen Potentials können verschiedene
Oligonukleotide nacheinander an spezifischen Positionen abgelegt werden. Durch
die gezielte Hybridisierung an einzelnen Positionen wird die Reaktion stark
beschleunigt. Ein Umpolen steigert die Selektivität der Reaktion und kann
sogar die gebundene Probe vollständig entfernen, was die Wiederverwendbarkeit
des Chips ermöglicht.
Ausblick
Die Anordnung von Nukleinsäuren oder Proteinen auf festen Oberflächen
unterschiedlicher Plattformen gestattet die automatisierte, schnelle und parallele
Analyse von Genen und Genprodukten. Mittlerweile hat die Biochip-Analytik in
einer ganzen Reihe von Forschungsgebieten ihre Anwendung gefunden. Dazu zählen
in erster Linie die Zell- und Entwicklungsbiologie, die Pharmakologie, die Toxikologie,
die Umweltanalytik und nicht zuletzt die Krebsforschung. Sie haben das Potential
die heute üblichen molekularbiologischen Verfahren in der Expressionsanalyse,
der molekularen Diagnostik und dem biologischen Screening zu ersetzen. Die Genauigkeit
und Zuverlässigkeit der Chipanalyse hängen allerdings in kritischem
Maß vom Design der Chipplattform ab. Daher gilt es, technische Hürden
bei der Sondenherstellung (Qualität der mRNA für Expressionsprofiling,
Effizienz von Markierung und Hybridisierung) und Chipproduktion und -auswertung
(Positionierung der Spots, Reproduzierbarkeit der Immobilisierung fertiger Sondenmoleküle,
Effektivität der in situ Synthese, Qualitätskontrolle, Effektivität
der Detektion) zu überwinden. Kombiniert mit bereits etablierten molekularbiologischen
Verfahren wie PCR und immunologischen Nachweisreaktionen versprechen Chiptechnologien
schnelle, vereinfachte und kostengünstige Laboranalysen und damit vielfältige
Anwendungsmöglichkeiten in Forschung, Forensik, Nahrungsmittelkontrolle,
Hygieneanalytik und auch als Routineanwendungen in der molekularen Diagnostik.
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