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Genetische Untersuchungen am Menschen
Was ist bereits möglich in der Medizin mit Hilfe der Gentechnik?
Funktion und Regulation vieler Gene sind nicht bekannt, man kennt nur
die Sequenzen. Positive wie kritische Aspekte sollten betrachtet werden.
Ein Interview mit Prof. Hans Jakob Müller vom Kantonsspital der Universität
Basel.
Welche Möglichkeiten bestehen heute schon bei der pränatalen
und der präsymptomatischen Diagnostik?
Sobald man die genetische Ursache einer Krankheit kennt und weiss, dass
eine bestimmte Mutation oder Aberration vorliegt, welche die Familie vielleicht
schon beobachten konnte, und das Paar sich ein weiteres Kind wünscht,
kann man natürlich überprüfen, ob die Veranlagung beim
ungeborenen Kind vorliegt. Die Voraussagekraft ist relativ hoch.
Die familiäre Situation ist in der Regel so, dass die Eltern bereits
ein krankes Kind haben und sich Sorgen wegen weiterer Kinder machen. In
Ausnahmefällen kommen die Eltern aus einer Region, in der ein bestimmtes
defektes Gen in der Gesellschaft ausgesprochen häufig vorkommt. Z.B.
gibt es in Italien häufig Genveränderungen, die zu Thalassemien
führen. Das sind Krankheiten, bei denen der rote Blutfarbstoff nicht
richtig gebildet werden kann. Dort untersucht man immer zuerst die Leute.
Voraussetzung für eine genetische Untersuchung ist aber, dass man
weiss, was man sucht. Man kann nicht Gentests aus dem hohlen Bauch heraus
machen und bei einem Kind nicht irgendwelche Forschungsunternehmen starten.
Da besteht Zeitdruck, da besteht die ganze psychologische Belastung der
Schwangeren und ihres Partner. Und es ist wichtig, wenn man die Diskussion
um das Gesetz anschaut, dass man die Leute ein wenig aufklärt und
ihnen sagt, dass diese Möglichkeiten bestehen, dass aber auch Vorarbeiten
geleistet werden müssen.
Sehr häufig praktiziert man in der Schweiz ein wenig die Vogel Strauss
Politik, d.h. man wartet, bis es nicht mehr anders geht. Das Kind ist
dann plötzlich unterwegs und dann muss man alles unter enormen Zeitdruck
durchführen. Im Prinzip sind diese Tests aber gut etabliert und haben
eine hohe Voraussagekraft. Die Beratung hat den Vorteil, dass die Leute
merken, dass man nicht von irgendeiner Phantomkrankheit spricht und sie
sich recht gut überlegen können, ob sie das Kind mit einer solchen
Krankheit haben möchten oder nicht. Und für uns ist die Belastung
auch nicht sehr gross, weil man gewisse schwere Krankheiten, die mit dem
Leben kaum vereinbar sind oder nicht lange vereinbar sind, einer Frau
oder einem Paar nicht zweimal zumuten muss.
Per Gesetz ist geregelt, dass man Personen nicht vorschreiben kann,
genetische Tests zu machen..
Ja und das sollte man auch nicht. Das Gesetz, das unterwegs ist, verbietet
das. Jeder Mensch soll soviel Autonomie wahrnehmen. Aber Autonomie setzt
auch Wissen voraus. Wenn Sie nicht wissen, wo Sie stehen, sind Sie von
der Meinung anderer abhängig.
Aber sollte man unter bestimmten Umständen, wenn die Patienten
nicht genügend aufgeklärt sind, oder die Aufklärung in
der Bevölkerung gering ist, Risikopersonen zu solchen Tests auffordern?
Nein, da bin ich dagegen. Man muss schauen, dass genetische Tests freiwillig
sind. Jede Person darf entscheiden, ob sie einen Test will oder nicht.
Aber Sie können nicht über etwas entscheiden, das Sie nicht
kennen. Sie müssen die Möglichkeiten kennen, um entscheiden
zu können, und in unserer deutschsprachigen Gesellschaft ist das
Wissen um genetische Phänomene, vor allem in städtischen Gebieten
ausgesprochen gering, so dass Möglichkeiten gar nicht wahrgenommen
werden können oder aber auch unerwünschte Dinge nicht bewusst
ausgeschlossen werden können.
Wenn die Menschen nicht aufgefordert werden, aber der Wissensstand
nicht genügend ist, was würden Sie dann vorschlagen?
Ich glaube, dass es dringend notwendig ist, dass unsere Bevölkerung
wieder ein wenig mehr über Genetik weiss. Das sehen wir auch in der
genetischen Beratung. Die Leute, vor allem in städtischen Gebieten
haben mehr Schwierigkeiten, sich das vorzustellen bzw. sich in genetische
Sachverhalte reinzudenken, und so haben genetische Tests erst dann Aktualität,
wenn der Druck da ist. Und ich glaube, weil die Genetik eine wichtige
Rolle spielt, sollte man sich aktiver damit beschäftigen in der Schule
und in den Medien, damit man sich überlegen kann, inwieweit einen
das angeht oder auch nicht.
Wie ist es bei Personen, z.B. Alzheimerpatienten, die keine eigene
Entscheidung mehr treffen können, wo es aber wünschenswert wäre,
Aufschluss über die Ursache einer Erkrankung zu bekommen?
Es ist ausgesprochen selten, dass man bei einem Menschen, der nicht mehr
in der Lage ist zu entscheiden, einen Gentest durchführt. Das ist
eine Rarität. Ich kann mich nicht mal bei Corea Huntington an eine
Situation erinnern, in der die Patienten nicht mehr fähig gewesen
wären, zu entscheiden. Die Leute kommen in einem Stadium zur Untersuchung,
in der ihre intellektuellen Fähigkeiten doch noch ausreichend sind,
um solche Entscheidungen fällen zu können. Bei Alzheimerpatienten
liegen in der Regel nicht nur genetische Ursachen vor, es handelt sich
um eine multifaktoriell bedingte Erkrankung. Dort müsste man abwägen.
Wenn eine Familie ein Kind mit einer schweren Stoffwechselkrankheit hat
und wo die Eltern entscheiden müssen, ob man einen Gentest macht,
ist die Situation anders. Das Kind selber kann da nicht entscheiden. Und
da glauben wir, dass Gentests immer dann nicht verantwortbar sind, wenn
sie keine unmittelbaren Konsequenzen haben für die Gesundheit des
Kindes und für die Familienplanung. Wenn aber der Gentest Informationen
gibt, die für das Kind relevant sind und respektive auch für
Beurteilung einer Krankheit bei Geschwistern notwendig sind, glaube ich
darf man sie durchführen. Das wird das Gesetz dann mit grösster
Wahrscheinlichkeit auch zulassen.
Und wenn die Information nicht direkt relevant für Geschwister
ist, z.B. wie bei der Trisomie 21?
Wir machen keine Gentests bei Kindern, die ausserhalb des Indikationsbereiches
sind. Und bezüglich der Trisomie lässt sich das so nicht ganz
sagen. Ein Drittel der Kinder ist schwer betroffen und stirbt um die Geburt
herum. Ein weiteres Drittel überlebt die Kindheit, da sind die Beeinträchtigungen
der Organe, des Herzens mittelmässig. Ein Drittel überlebt bis
ins Erwachsenenalter. Wenn ein Kind mit Trisomie 21 zur Welt kommt und
keine schweren Organschäden so ist das zwar kein Glückszustand,
aber es ist auch nicht mit dem Leben inkompatibel. Da kommen viele psychosoziale
Faktoren hinzu, die den Schweregrad des Schicksals mitbestimmen. Wenn
sie in eine Pfarrersfamilie hineingeboren werden, wo der Vater nur am
Sonntag arbeitet und die Mutter nicht arbeitet, dann kann das Kind dort
unter Umständen sehr gut aufwachsen und sich entwickeln. Wenn aber
beide Eltern arbeiten und das Kind in einem Heim aufwachsen muss, dann
ist es, auch wenn das Heim gut ist, ab Kindheit ein "Internierter".
Werden diese psychosozialen Faktoren bei der Beratung mit in Betracht
gezogen?
Ja, wenn etwas gefunden wird, was nicht ganz so optimal ist, machen wir
uns zum Anwalt des Kindes. Man muss aber die sozialen Lebensumstände
der Eltern berücksichtigen, um ihnen auch keinen Vorwurf zu machen,
wenn sie ein Kind nicht wollen.
Die Abtreibungsquote bei Down Syndrom beträgt mittlerweile 95%...
Das ist so, alle Leute, die einen pränatalen Gentest machen, bis
auf wenige Ausnahmen, wollen natürlich ein gesundes Kind. Sie machen
diese Gentests nicht zum Vergnügen und wenn die Tests Abweichungen
zeigen, wollen sie das Kind nicht. Das ist in der Regel so.
Wie geht dann das Gesetz mit dem Vorwurf der Eugenik um?
Ja, das ist in gewissem Sinn Eugenik. Das Gesetz akzeptiert es in soweit,
als dass es sich nicht um Staatsprogramme handelt, um gesunde Menschen
heranzuzüchten. Es hat ein wenig eugenische Konsequenzen, aber es
ist nicht im Sinn von eugenischen Massnahmen konzipiert. Das ist nicht
die Absicht des Gengesetzes und so spielt es eigentlich auch keine so
grosse Rolle in unserem Alltag. Es greift nicht radikal in die Gesellschaft
hineingreift.
Vielleicht ist das Gesetz nicht so konzipiert, aber es kann ein sozialer
Druck entstehen, wenn viele behinderte Kinder abgetrieben werden.
Das ist sicher so. Angefangen hat das mit der Geburtenkontrolle, d.h.
als es möglich wurde zu bestimmen, wie viele Kinder man haben möchte.
Damit verbunden war natürlich der Wunsch, bei zwei Kindern zwei gesunde
Kinder zu haben. Aber vom Staat her gibt es eigentlich wenig Vorgaben.
Die pränatale Diagnostik, die wir heute betreiben, hat auch einen
geringen Impact auf die Gesamtgesundheit. Und dann muss man auch sehen
mit Hinblick auf Eugenik, das habe ich auf ganz pragmatischer Ebene auch
erlebt, dass früher viele Behinderungen durch die Natur eliminiert
wurden. Das haben wir heute nicht mehr.
Im Buch die Genomfalle, zitiert Ursel Fuchs einen Politiker, welcher
berechnet hat, wie viel Kosten eingespart werden könnten, wenn alle
Kinder mit Trisomie abgetrieben würden.
Diese Berechnungen hat man heute völlig verlassen, das sind Zeitgeistdinge.
Man kann natürlich für jede Krankheit, das machen Krankenkassen
regelmässig, fragen, was diese Patienten kosten. Das hat man auch
bei Trisomie 21 berechnet. Und wenn man dann ganz primitiv rechnet, sind
die Kosten in der Regel zugunsten der pränatalen Diagnostik. Das
ist schon so, weil diese Kinder Problemkinder bleiben. Sie können
sich nie selber ernähren, sie können nie zur Subventionskasse
ihrer Eltern beitragen, das ist schon so. Diese Aspekte muss man sehr
ernst nehmen. Ich muss als Arzt nicht so denken, aber wir sind immer mehr
einem steigenden politischen Druck ausgesetzt, der durch die steigenden
Kosten des Gesundheitswesens wächst. Da muss man sich fragen: "Muss
jeder alles haben? Wie weit geht diese Gesundheitsversorgung?".
Kurz noch zur präsymptomatischen Diagnostik. Wie ist es, wenn
es noch keine Symptome gibt, man aber feststellt, das solche möglicherweise
zu einem nicht vorhersagbaren Zeitpunkt auftreten könnten. Wie vermittelt
ein Arzt dies seinem Patienten und sind dazu besondere Zusatzqualifikationen
erforderlich?
Die präsymptomatische Diagnostik ist dann sinnvoll, wenn sie etwas
unternehmen können mit Hinblick auf Prävention von schweren
klinischen Manifestationen. Wir machen das auch, bei der Erforschung von
Veranlagungen, die zu Dickdarmkrebs führen. Wir denken, dass es sinnvoll
ist, eine Person mit hohem Risiko für Dickdarmkrebs zu identifizieren,
denn sie muss ganz anders überwacht werden im Hinblick auf die Entwicklung
eines Dickdarmkarzinoms als die Durchschnittsbevölkerung. Alle zwei
Jahre, vielleicht alle Jahre muss man mit einem optischen Gerät den
Dickdarm überprüfen nach dem 20 bis 25 Lebensjahr. Dann kann
man ein solches Karzinom frühzeitig entfernen. Diesen Patienten kann
man sehr viel bieten. Sie müssen nicht warten, bis ein unheilbarer
Krebs vorhanden ist. Beim Mammakarzinom ist das Ganze viel schwieriger.
Hier kennt man auch zwei Gene, die etwa bei 5% aller Erkrankung sie entscheidend
mitverantwortlich sind. Soll man da Töchter oder Schwestern testen
oder nicht? Das ist eine schwierige Frage, da man sich überlegen
muss, welche Konsequenzen man ziehen will. Kulturelle Einflüsse spielen
da eine grosse Rolle. Frauen aus dem englischsprachigem Raum haben eher
die Mentalität, dass man ein Organ, das man nicht unbedingt braucht,
abwerfen soll. Frauen aus dem deutschsprachigen Raum hingegen können
sich sehr schwer vorstellen, dass man ihnen die Brüste wegoperiert.
Vor allem, wenn sie nicht wissen, dass der Brustkrebs mit Sicherheit
ausbricht.
Also die Wahrscheinlichkeit lebenslang ist schon hoch. Es kommt bei den
Frauen darauf an, was sie erlebt haben, es kommt auf die psychische Situation
an. Wenn Sie erlebt haben, dass die Schwester oder die Mutter ein Mammakarzinom
hatten, und elend an Metastasen zugrunde gegangen sind mit schweren Schmerzen
wegen Knochenmetastasen, dann sieht es natürlich ganz anders als,
als wenn Sie dies nicht erlebt haben. Es gibt grosse individuelle Unterschiede.
Die Kunst der genetischen Beratung liegt darin, diese wahrzunehmen und
im Gespräch aufzunehmen und für jede Person die Situation zu
finden helfen, mit der sie am besten zurechtkommt.
Sie haben jetzt von vermeidbaren Krankheitsausbrüchen gesprochen,
aber es gibt auch Krankheiten, die nicht vermeidbar sind. Wie wird das
dem Patienten mitgeteilt?
Da ist es schwierig und auch da gibt es kein allgemeines Rezept. Bei
Corea Huntington ist es ausgesprochen unterschiedlich, wie die Menschen
mit dem Testergebnis klarkommen. Es gibt Leute, die wollen sich lange
nicht oder gar nicht untersuchen lassen., weil sie nicht wissen, wie sie
darauf reagieren. Gewisse Leute verdrängen auch den Test, weil sie
genau wissen, dass sie die Krankheit haben und sich das nicht eingestehen
möchten. Andere wollen den Test, weil sie sich orientieren wollen
Ich kenne auch zwei Personen, denen haben wir dank eines Gentests enorm
geholfen, indem wir ihr Leben neu organisieren konnten. Die Corea Huntington
ist eine sehr grässliche Krankheit, wenn man sie als Patient nicht
wahrhaben darf. Das kann enorme Konfliktsituation auslösen.
Was machen sie, wenn sie ein junger Patient, der Träger einer
Erbkrankheit ist und den Gentest machen lässt, das Ergebnis nicht
mitgeteilt haben möchte ? Sie wissen aber, dass der Gentest positiv
wahr?
Jedermann hat, und das sagt auch das Gesetz, das Recht, Ergebnisse erfahren
zu wollen oder nicht. Aber dass jemand ein Testresultat nicht wissen möchte,
wenn er sich auf einen solchen Test eingelassen hat, ist äusserst
selten.
Kommen Sie als Arzt nicht in einen Konflikt, wenn der Patient das
Resultat nicht erfahren möchte, Sie aber in den Krankheitsprozess
eingreifen könnten?
Wir besprechen das in der Regel im voraus und erläutern dies dem
Patienten, die Verantwortung ist beim Patienten. Schwieriger ist es bei
Forschungsprojekten. Das Genomprojekt ist ja noch nicht erfüllt.
Die Leute stimmen im Rahmen eines solchen Projektes zu, ihre Genproben
zu anonymisieren. Da kann es sehr hart sein, wenn 5 oder 10 Jahre später
etwas heraus kommt, was auf ein eindeutiges Gen hinweist, und Sie haben
keine Brücke mehr zu diesen Leuten. Das kann Konflikte auslösen.
Das ist im Gesetz aber mit berücksichtigt. Es wird eine Kommission
geben, die den Arzt/ Genetiker von der Schweigepflicht entbinden kann.
Er muss sich dann nicht alleine entscheiden, es helfen ihm Leute bei diesem
Entscheid, weil das dann sehr unangenehm sein könnte. Ich neige dazu,
dass es bei unseren Forschungsprojekten keine anonymisierten Blutproben
geben sollte. Das ist immer noch ein bisschen anders, wenn sich kommerziell
Firmen beteiligen.
Sie selbst haben viel Erfahrung im Umgang mit der genetischen Beratung.
Wie ist es mit den jungen Ärzten, welche Empfehlungen würden
sie bezüglich der Ausbildung geben?
Das Gesetz fordert eine Qualifizierung der Ärzte und das ist auch
gut so. Im Moment ist der Hintergrund für alle diese genetischen
Untersuchungen auch im Ausbildungsbereich noch völlig unbefriedigend.
Die Genetik nimmt, obwohl sie an Bedeutung gewinnt, in der Ausbildung
noch viel zu wenig Gewicht ein. Da können noch Fehler passieren,
wenn Leute mit genetischen Untersuchungen und Daten zutun haben, die die
Dimensionen der Probleme, die damit zusammenhängen, nicht kennen.
Es wird eine Aufgabe der Ärzteschaft sein, die Möglichkeiten
aufzubauen, um mit diesen Fragen besser zurecht zu kommen. Und ein Problem
ist wiederum, dass die Leute lernen müssen, interdisziplinär
zusammenzuarbeiten. Das ist schon ein Problem der heutigen Medizin. Auf
der einen Seite wird der Spezialarzt, der sonst mit genetischen Problemen
relativ wenig zu tun hat, letztlich mit diesen konfrontiert. Wenn er nicht
genügend ausgebildet ist, weiss er nicht, wie er mit diesen umgehen
sollte. Das ist ein Problem, ein Ausbildungsdefizit. Das andere Problem
ist, dass die Medizin so komplex wird, dass der einzelne Arzt einfach
den Überblick nicht mehr hat. Gerade im deutschen Sprachraum kommen
noch Probleme bei der Teamarbeit unter den Ärzten, der Teamarbeit
mit dem Labor, der Teamarbeit auch der Leute im psychosozialen Bereich
dazu. Die müssen lernen, untereinander zu kommunizieren.
Wie sieht es im therapeutischen Bereich mit den Möglichkeiten
aus?
Es ist sicher so, dass im Bereich der molekularen Medizin oder der genetischen
Diagnostik die Schere zwischen diagnostischen Möglichkeiten und therapeutischen
Möglichkeiten eher noch weiter auseinander geht als dass sie zusammen
kommt. Und der Fortschritt in der Medizin kommt auch nicht davon, dass
man nachhause geht und liest. Man muss weiterforschen und diesen Krankheiten
auf die Spur kommen, und das kann man nur über verbesserte Diagnostik.
Aber man hofft ja gerade auf die somatischen Gentherapien. Meinen
sie es gibt Lösungen in greifbarer Nähe?
Ja sicher, es gibt sie, aber man muss aufpassen, dass man den Leuten
nicht zuviel Hoffnung macht.
Wann können wir damit rechnen?
Im 15. Jahrhundert hat man begonnen die Anatomie des Körpers zu
studieren. Heute kann man Herzen transplantieren, das hat 400-500 Jahre
gebraucht. Es wird nicht mehr so lange dauern, aber es geht nicht so schnell,
wie die Leute es gern hätten.
Wie sieht es aus mit der Forschung bei multifaktoriell bedingten Erkrankungen,
wie z.B. psychischen Erkrankungen ?
Das ist schwierig zu sagen. Aber man weiss, das die Psyche stark von
der Veranlagung/ Vererbung abhängig ist. Da hinkt das Wissen noch
sehr hinterher. Einerseits, weil die Methodik für die Erforschung
multifaktoriell bedingter Erkrankungen noch nicht sehr weit entwickelt
ist. Die Gendiagnostik hat sich auf Erkrankungen spezialisiert, bei denen
einzelne Erbfaktoren im Vordergrund stehen. Man weiss noch relativ wenig
darüber wie sich ein Gen im Kontext mit anderen Genen manifestieren
kann. Bei den körperlichen Krankheiten weiss man deutlich mehr, muss
aber auch noch dazulernen.. Und da sind auch die Psychiater und Psychologen
gefordert, die Wahrnehmung von psychischen Phänomenen so zu klassifizieren,
dass sie den biologischen Hintergrund wiederspiegeln. Das ist zum Teil
noch gar nicht der Fall. Alle diese Phänomene, wie z.B. Angst haben
einen genetischen Hintergrund. Aber das wird noch so schlecht aufgeschlüsselt,
dass es gar nicht wiederspiegelt, wie es wirklich ist. Bei der ganzen
Forschung ist man nicht nur gefordert, Methoden auf der Seite der Genetik
zu entwickeln. Auch die Kliniker sind gefordert, auch die Psychologen,
das, was sie sehen, so zu gruppieren, dass Kraut und Rüben voneinander
getrennt sind.
Dennoch finden Tests immer stärker Verbreitung, vor allem in
den USA.
Man kann immer mehr Tests und immer mehr Resultate erzeugen, aber der
Mensch ist mehr als die Summe seiner Gene. Da kommen mehrere Faktoren
hinzu, die sich auf genetischer Ebene nicht erfassen lassen. Krankheit
ist nicht nur Somatik, da spielen noch andere Phänomene sehr stark
mit. Kulturelle Einflüsse spielen eine Rolle. Schwierig ist immer
noch die Interpretation. Das ist das Hauptproblem der Chipstechnologie.
Man kann viele Eigenschaften messen, aber ihre Bedeutung ist oft völlig
unklar. Und so glaube ich, dass es einen gläsernen Menschen nicht
geben wird.
Interview: Puspa Agarwalla
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