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"Es gehört zur Aufgabe der Forschung, Themen so verständlich
wie möglich zu machen"
Interview mit PD Dr. Daniel Surbek vom Frauenspital Basel. Herr Dr. Surbek
ist leitender Oberarzt und forscht in den Bereichen pränataler Gentherapie
und Stammzellen aus Nabelschnurblut.
Sind aus Sicht der Wissenschaft die Erwartungen, die man am Anfang
der 90er Jahre in die Gentherapie setzte, erfüllt worden?
Die anfängliche Einschätzung der Wissenschaft die Gentherapie
innerhalb von 10 Jahren zu etablieren, hat sich als zu optimistisch erwiesen.
Dennoch können heute einzelne Krankheiten, zum Beispiel die kombinierte
Immundeffizienz (SCID), per Gentherapie behandelt werden.
Woran lag diese Fehleinschätzung Ihrer Ansicht nach?
Ich glaube, dass man die Komplexität der Genregulation damals falsch
eingeschätzt hat. Die grössten technischen Probleme sind die
stabile Integration des Fremdgens in die Zellen, die therapiert werden
sollen, und die langfristige Expression (Funktion) des Gens. Selbst wenn
diese Übertragung funktioniert, wird das Gen oft inaktiv, oder das
eingeführte Gen wird bei der Zellteilung nicht vervielfältigt.
Glauben Sie, dass hochkomplexe Themen - wie die Gentherapie oder die
Stammzellentherapie - geeignet sind, vereinfacht dargestellt zu werden?
Geeignet sind sie nicht, aber es gehört zur Aufgabe der Forschung,
die Themen so verständlich wie möglich zu machen. Die Wissenschaftler
sollten nicht in ihren Labors bleiben, sondern ihre Forschung nach aussen
tragen und mit den angrenzenden Fachgebieten zusammenarbeiten. Gerade
die Stammzellendebatte ist ein gutes Beispiel für eine gelungene
öffentliche und fächerübergreifende Diskussion.
Fühlen Sie sich in den Medien gut wiedergegeben?
Ich habe dem BLICK noch nie ein Interview gegeben... . Aber bei den Medien,
mit denen ich bisher in Kontakt war, hatte ich immer das Gefühl,
dass meine "Haupt-Message" durchgekommen ist. Auseinandersetzungen
- wie die Stammzellendiskussion - brauchen Zeit. Ein einzelner Zeitungsartikel
genügt nicht.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Patientinnen heute - wegen der breiten
Medieninformation - besser über Forschungsanwendungen Bescheid wissen?
Das hängt vom Thema ab. Die Nabelschnurblutbanken sind ein gutes
Beispiel dafür, dass die Patientinnen besser informiert sind. Als
wir 1996 das Projekt angefangen haben, wusste kein Mensch etwas über
hämatopoetische Stammzellengewinnung aus Nabelschnurblut - im Gegensatz
zu heute, wo täglich Anfragen, meist von werdenden Eltern, an uns
gelangen. Neue Erkenntnisse werden heute sehr direkt in die Öffentlichkeit
getragen und die Menschen fragen auch kritisch zurück.
Herr Surbek, haben Sie den Eindruck, dass die Rote Gentechnik, analog
zur Grünen Gentechnik, im Laufe der 90er Jahre einen Imageverlust
erlitten hat?
Nein, ich habe den Eindruck, dass heute klarer zwischen Roter und Grüner
Gentechnik differenziert wird. Die Gentherapie wird in der Öffentlichkeit
nicht kritischer als früher gesehen was man beispielsweise vom Gen-Mais
nicht sagen kann.
Auch nicht im Zuge der aktuellen Stammzellendebatte?
Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Stammzellendebatte negativ
auf die Gentherapie auswirkt. Beim Symposium über Stammzellenforschung
oder beim "Runden Tisch" von Science et Cité waren die
Diskussionen erstaunlich differenziert. Das Bedürfnis nach Information
ist enorm, was darauf hinweist, dass die Bevölkerung sich kein vorschnelles
Urteil bildet.
Zurück zur medizinischen Gentechnik: Ist für Sie dieser
Forschungszweig weitgehend unproblematisch oder sehen Sie Risiken?
Das ist natürlich nicht unproblematisch! Jeder, der sich damit beschäftigt,
weiss um die Gefahren und zwar sowohl in der Stammzellenforschung als
auch in der Gentherapie.
Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Gefahren?
Zunächst die Gefahr des "slippery slope" bezogen auf die
Keimbahntherapie. Die Veränderungen in der Keimbahn werden an die
nächste Generation weitergegeben und das ist der grosse Unterschied
zu anderen Eingriffen. Es besteht die Gefahr, dass sich diese Technologie
verselbstständigt und zu einer unguten Entwicklung führt. Der
Eingriff in die Keimbahn muss aus meiner Sicht jedoch nicht zwangsläufig
ethisch hochproblematisch sein, zum Beispiel dann nicht, wenn durch die
Keimbahntherapie eine schwere genetische Krankheit langfristig geheilt
werden könnte.
Eine weitere Gefahr sehe ich bei einer möglichen Uminterpretation
des Begriffs "Krankheit". Wer legt fest, was eine Krankheit
und was eine Eigenschaft ist? Und welche Eigenschaften sind nicht wünschenswert?
Derzeit ist der Keimbahneingriff ein noch weitgehend tabuisiertes
Thema. Könnten Sie sich vorstellen, dass sich das ändert und
die Gesellschaft - z.B. in Form eines verbindlichen Katalogs - sich darauf
einigt, welche genetischen Veränderungen am Menschen vorgenommen
werden dürfen, und welche nicht?
Das ist ein schwieriges Thema, weil diese Situation bisher rein hypothetisch
ist. Angenommen diese Technologie wäre technisch so perfekt, dass
man die Gentherapie in der Keimbahn anwenden könnte. In dem Fall
könnte ich mir einen solchen Katalog vorstellen. In Zusammenarbeit
mit der Gesetzgebung müsste die Gesellschaft den ethischen Rahmen
abstecken und sich auf bestimmte Erbkrankheiten einigen, die behandelt
werden dürfen. Das wäre im Prinzip das gleiche Vorgehen wie
bei der Stammzellendebatte. Ich denke nicht, dass es ein absolutes Tabu
bei der Keimbahntherapie geben sollte. Ich glaube, dass die Heilung schwerwiegender
genetischer Krankheiten ethisch vertretbar wäre. Die ethischen Leitplanken
müssten jedoch gemeinsam von Gesellschaft, Forschung, Politik und
Recht, gesetzt werden.
Es klingt so, als ob Sie bezüglich der gesellschaftlichen Willens-
und Konsensbildung optimistisch sind. Stimmt das?
Ja, diesbezüglich bin ich optimistisch. Ich glaube nicht, dass es
zu einem unregulierbaren Dammbruch kommen wird, sondern gehe davon aus,
dass eine vernünftige gesetzliche Regulierung möglich ist. Diese
muss nicht für die nächsten 200 Jahre gelten. Schliesslich wandelt
sich die Gesellschaft und ihre Werte ständig, und es ist gut möglich,
dass die Menschen in 200 Jahren völlig anders denken. Wichtig ist,
dass man sich immer auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsens bewegt.
Sehen Sie in Zukunft zusätzliche Problem auf Eltern zukommen,
die ein behindertes Kind haben? Man könnte sich vorstellen, dass
die Nicht-Durchführung einer Keimbahntherapie oder Präimplatationsdiagnostik
(PID) von der Gesellschaft nicht mehr toleriert wird. Wie sehen Sie das?
Ich persönlich sehe das anders. Zum einen - und da spreche ich aus
eigener Erfahrung aus dem Klinikalltag - entscheiden sich viele Eltern,
deren erstes Kind zum Beispiel von Trisomie 21 betroffen ist, in der nächsten
Schwangerschaft dafür, eine pränatale Diagnostik durchführen
lassen. Diese Eltern kümmern sich mit Herz und Seele um ihr Kind,
gleichzeitig aber haben sie nicht die Kapazitäten, sich auch um ein
zweites krankes Kind zu kümmern, und würden eine Schwangerschaft
mit einem erneut betroffenen Kind unter Umständen abbrechen.
Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass sich die Gesellschaft -
und mit ihr die Bedingungen für behinderte Menschen - so oder so
wandelt. So haben es behinderte Menschen, die in der Grossstadt aufwachsen,
schon heute ungleich schwerer als solche in einem Dorf, wo sie von der
Gemeinschaft besser mitgetragen werden. Ich denke, die Gründe für
den gesellschaftlichen Wandel sind vielfältig. Technische Möglichkeiten
wie die PID, die sich theoretisch "verselbständigen" könnten,
würde ich in diesem Zusammenhang nicht überbewerten.
Bedeutet das, dass für Sie das Zukunfts-Szenario des "perfekten
und designten Menschen" keine reale Gefahr ist?
Ich glaube nicht, dass die Entwicklung dahin geht, perfekte Kinder zu
"gestalten". Ich glaube aber daran, dass es ein normales menschliches
Bedürfnis gibt, gesunde Kinder in die Welt zu setzen. Deshalb bin
ich davon überzeugt, dass Eltern, die eine begründete Angst
haben, kein gesundes Kind zu haben, das Angebot einer Frühdiagnostik,
wahrnehmen dürfen sollen. Das ist kein künstlich herbeigeführtes
Bedürfnis, ein Kind zu "designen".
Das ist der individuelle Standpunkt. Wie würden Sie das vom gesellschaftlichen
Standpunkt bewerten? Wenn Sie sich zum Beispiel 1 Millionen Menschen vorstellen,
die alle gesund und schön sind...
Es gibt gewisse gesamtgesellschaftliche Tendenzen, die technischen Möglichkeiten
auszunutzen und das Machbare auch zu machen. Ich, als Arzt, sehe aber
zunächst auch das Individuum. Mit Sicherheit existieren schon heute
fragliche Anwendungen der PID. Es gibt z.B. Leute, die die PID im Hinblick
auf sich spät manifestierende Krankheiten, für die lediglich
eine genetische Veranlagung besteht, durchführen lassen wollen zum
Beispiel bei Morbus Alzheimer oder Chorea Huntington. Mit anderen Worten:
Es gibt Eltern, die entscheiden, ob ihr Kind in ferner Zukunft, als Erwachsner,
eine Krankheit haben soll oder nicht. Das ist ethisch heikel, da die Krankheit
nicht das ganze Leben betrifft, sondern oft erst später auftritt,
zuweilen erst nach 40-50 Jahren. In der Schweiz und Deutschland wird das
vielleicht in Zukunft auch möglich werden. Wir müssen uns jedoch
bereits jetzt mit diesen neuen ethischen Fragestellungen auseinandersetzen.
Herr Dr. Surbek, ich bedanke mich herzlich für das interessante
Gespräch!
Interview: Katja Manike, Zentrum BATS
PD Dr. Daniel Surbek ist leitender Oberarzt an der Universitäts-Frauenklinik
Basel. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt "vorgeburtliche
Stammzellentransplantation" ist Teil des Schweizerischen Nationalfond
(NFP 46) und wird von Prof. Wolfgang Holzgreve vom Basler Frauenspital
geleitet. Enge Zusammenarbeit besteht mit Prof. Alois Grathwohl, Hämatologe
im Basler Kantonalspital sowie mit den Disziplinen Recht und Ethik:
Prof. Kurt Seelmann von der juristischen Fakultät der Universität
Basel sowie Prof. Alberto Bondolfi vom Institut Ethik und Medizin
der Universität Zürich.
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