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"Die Antwort auf jede Frage führt zur nächsten Frage"

Prof. Hans Trachsel arbeitet an der Universität Bern an der Erforschung der Translation. Warum ist Grundlagenforschung unerlässlich, was ist so spannend an der Translation und welche Fragen sind noch offen, wollte BATS von Prof. Trachsel wissen.

Hinweis: Fett geschriebene Begriffe sind am Ende des Textes in einem Glossar erklärt

Warum ist Grundlagenforschung wichtig?

Wenn man die Bedeutung der Grundlagenforschung einschätzen will, müsste man zurückblicken. Man müsste schauen, wie Dinge entdeckt wurden, die heute wichtig sind. Oft wurden Erkenntnisse erlangt, die zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung noch in keinen Zusammenhang gestellt werden konnten. Man stiess mehr oder weniger zufällig darauf. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die daran arbeiteten, haben natürlich bewusst in dem Gebiet geforscht. Aber in dem Moment der Erkenntnis konnten sie oft nicht ahnen, was danach noch alles folgt.

Fällt Ihnen dazu ein Beispiel ein?

Ein beeindruckendes Beispiel dafür sind die Restriktionsenzyme. Ich war Student in den sechziger Jahren als die Restriktion diskutiert wurde, also das Phänomen, wie DNA von Phagen in bestimmten Bakterienzellen abgebaut wird. Dies konnte man schwer verstehen Dennoch wurde eine Frage nach der anderen gestellt. Erst: 'Wer oder was zerstückelt die DNA?', dann 'Wie funktioniert das?' usw. Schliesslich wurde die Restriktion aufgeklärt und wer hätte gedacht, dass die Restriktionsenzyme später so bedeutend für die Gentechnologie würden? So gibt es jede Menge Beispiele, wie Ergebnisse der Grundlagenforschung in der Anwendung Bedeutung erlangen. Das ist für mich ein wichtiges Argument für die Grundlagenforschung.

Ist die Grundlagenforschung für alle wissenschaftlichen Bereiche wichtig?

Auf jeden Fall. Man muss interessante Fragen einfach zulassen, ohne direkt nach dem Nutzen zu fragen. Das gilt natürlich für jede wissenschaftliche Disziplin, nicht nur für die Biologie. Oftmals ergeben sich dann ganz überraschende Zusammenhänge und Anwendungen für die Praxis. Ein Punkt, warum Grundlagenforschung auch wichtig ist, ist die Bedeutung der Forschung für die Lehre. Wer Studenten schult, sollte sehr nah an der aktuellen Forschung sein und diese auch auf hohem Niveau betreiben. Bei der Ausbildung und den Diplom- und Doktorarbeiten profitieren die Studenten sehr von einer aktiven Forschungsgruppe.

Sie betreiben mit Ihrer Arbeitsgruppe Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Translation. Bei diesem zellulären Vorgang wird, vereinfacht gesagt, die genetische Information letztlich in ein Protein "übersetzt". Welche Bereiche werden bei der Translationsforschung genauer unter die Lupe genommen?

Grob kann man die Translationsforschung in zwei Bereiche teilen. Zum einen wird der Mechanismus der Translation untersucht, das heisst die molekularen Interaktionen der einzelnen Komponenten. Translationsforschung heisst herausfinden, wie das Ribosom die messenger RNA (mRNA) erkennt und vor allem wie die mRNA das Startsignal erkennt. Hier gibt es viele mechanistische Probleme. Zum Beispiel: Wie viele Eiweisse müssen an das Ribosom binden und es zur mRNA führen? Und dann: Wie findet das Ribosom auf der mRNA den Ort, wo die Translation starten soll? Daran arbeiten wir sehr intensiv. Das heisst, es wird untersucht, wie interagiert ein Eiweiss mit der mRNA. Zum anderen stellt sich die Frage: Wie wird dieser Prozess reguliert? Alles, was eine Zelle macht, wird letztlich von Eiweissen gesteuert. Daher muss man "nur" verstehen -das ist natürlich eine sehr einfache Denkart des Molekularbiologen- wann welche Eiweisse gebildet werden. Hier spielt die Regulation der Eiweisssynthese eine ganz zentrale Rolle. Jede Zelle muss quasi "entscheiden", wann sie welches Eiweiss synthetisiert und auch in welcher Menge es hergestellt wird. Dies ist die Grundlage der gesamten Regulation des Stoffwechsels und des Wachstums.

Welcher Frage geht Ihre Arbeitsgruppe genau nach?

Ein überraschender Aspekt, der sich in den letzten Jahren erst eröffnet hat, ist, dass auch eine ganze Reihe Transkriptionsfaktoren über Eiweisssynthese auf Ebene der Translation kontrolliert werden. Besonders bei der Proliferation und Differenzierung von Zellen wurden diese Mechanismen nachgewiesen. Kürzlich haben wir in der Arbeitsgruppe eine Publikation diskutiert, in der von einer mRNA berichtet wurde, die für die Synthese von zwei Eiweissen verantwortlich ist. Das Eiweiss des langen offenen Leserasters der mRNA ist ein Transkriptionsfaktor, der die Zelle in Richtung Differenzierung führt. Das Eiweiss des kurzen offenen Leserasters der mRNA führt die Zelle hingegen Richtung Proliferation. Ganz oben steht hier bei der Genregulation erstaunlicherweise die Translation. Wenn man bedenkt, dass in den klassischen Lehrbüchern bei Genregulation lange allein die Transkription stand, ist das bemerkenswert. Die Gewichtung der Bedeutung von Transkription und Translation hat sich also hier geändert.

Der Kreis der Translationsforscher in der Schweiz ist überschaubar. Im Abstand von zwei Jahren treffen sie sich zu einem Workshop. Den letzten haben Sie im Oktober 2000 in Bern organisiert. Die Unterlagen zu dem Workshop können auch im Internet eingesehen werden (Adresse siehe unten). Welche Arbeitsgruppen sind das?

Unter den Schweizer Translationsforschern sind zwei Gruppen aus Genf: Die Gruppe von Patrick Linder vom Centre Médical Universitaire der Universität Genf und die Gruppe von Joseph Curran vom Department Genetik und Molekularbiologie, ebenfalls von der Uni Genf. Ausserdem nimmt noch die Gruppe von Fritz Müller in Fribourg regelmässig an den Treffen teil. Darüber hinaus gibt es auch in Basel zwei sehr aktive Forschungsgruppen: Das Team von Thomas Hohn und dann noch die Wissenschaftler rund um George Thomas vom Friedrich-Miescher-Institut. Thematisch sind alle, ausser die Gruppe um George Thomas, mehr mechanistisch orientiert.

Für welche praktische Anwendung hat Ihre Forschung Bedeutung?

In erster Linie forschen wir aus reinem Interesse daran, zu verstehen, wie etwas funktioniert. Wir wissen nicht, ob unsere Erkenntnisse irgendwann praktische Bedeutung haben werden. Grundsätzlich ist es jedoch so, dass die Translation oft eine ganz entscheidende Rolle spielt, beispielsweise bei der Entstehung von Tumoren oder bei der Entwicklung eines Lebewesens. Sie ist also letztlich immer auch bei Stoerungen und der Entstehung von Krankheiten beteiligt und könnte somit Ziel der Wirkung von Medikamenten sein.

Können Sie sich vorstellen, dass Sie einmal sagen: 'Jetzt weiss ich alles, was ich wissen wollte'?

Mit jeder Frage, die wir beantworten, stellen sich neue Fragen. Und in dem Sinn ist es nicht absehbar, wann man sagen kann: 'Jetzt wissen wir alles'. Oft entdeckt man etwas völlig Unerwartetes. Ich glaube, das ist das Wesen der Grundlagenforschung: Die Antwort auf eine Frage führt immer zur nächsten Frage.


Mit Prof. Hans Trachsel sprach Marion Morgner

Weitere Informationen:


Glossar:

  • Cap-Struktur:
    Struktur am 5' Ende der eukaryontischen mRNA, die während der Transkription gebildet wird. DNA: Desoxyribonuklein-Acid (Säure): Träger der Erbsubstanz
  • mRNA:
    messenger ribonucleic acid (Boten-Ribonuklein-Säure); diese RNA transportiert die Erbinformation vom Gen zum Ribosom, wo sie die Reihenfolge der Aminosäuren im Polypeptid bestimmt.
    Restriktionsenzyme: Enzyme, die Sequenzen der DNA erkennen und schneiden.
  • Ribosomen: Zellbestandteile (Zellorganellen), hier wird die Erbinformation gelesen und in die entsprechenden Aminosäure-Sequenzen umgewandelt. So entstehen Proteine. Daher sind die Ribosomen der Ort der sogenannten Proteinbiosynthese.
  • Translation (lat. translatio):
    Übersetzung der durch Transkription in mRNA umgeschriebenen genetischen Information der DNA in die Aminosäuresequenz des Proteins.
  • Transkription:
    Umschreibung genetischen Information der DNA in RNA, insbesondere in mRNA

© Copyright Zentrum BATS: Kontakt Legal Advisor: Advokatur Prudentia-Law Veröffentlichungsdatum: 2000-12-10

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